- Käffchen mit
Redet miteinander.
30 Jahre – das ist nicht nur eine sehr lange Zeit, das sind jede Menge Veränderungen. Kleine. Große. In der Branche. In der Technik. Im Teamwork. Wenn jemand so lange in einem Unternehmen arbeitet, kann man sicher sein, dass er oder sie (fast) alles gesehen hat und weiß, worauf es ankommt, um erfolgreich zu sein – und Spaß zu haben. Ein „Käffchen mit…“ Martina Jürgs von Mount Hagen.
Barbara Beiertz
Barbara Beiertz: Man hat mir mal gesagt: „Wenn du was über Biokaffee, über Mount Hagen oder über Wertform wissen willst, gibt es eigentlich nur eine, die du anrufst. Martina Jürgs.“ Also, Frau Jürgs: Was machen Sie eigentlich?
Martina Jürgs: Ich bin so etwas wie das Urgestein hier in der Firma und habe gemeinsam mit Karsten (Karsten Suhr, ehem. Chef von Mount Hagen; Anm. d. Red.) den ganzen Aufstieg der Wertform miterlebt. Wobei ich eigentlich nichts mit Kaffee zu tun hatte, ich habe mir das ganze Wissen über Kaffee und Bio hier angeeignet.
Von der Pike auf.
Als ich 1996 angefangen habe, gab es die erste Bioverordnung, aber auch nicht viel mehr. Mit der Weiterentwicklung von Bio habe ich diese ganze Zertifizierungsseite kennengelernt. Auch wenn ich in der Ausbildung mit Kaffee und auch Bio nichts zu tun hatte.
BB: Welche Ausbildung haben Sie denn?
MJ: Ich bin Diplom-Agrar-Ingenieurin. Ich komme also aus der Landwirtschaft, allerdings aus der Milchviehwirtschaft. Darum habe ich mich am Anfang dem Getreidekaffee sehr viel mehr verbunden gefühlt als dem Bohnenkaffee. Ich habe den Getreideeinkauf übernommen. Da hatte ich eine Beziehung zum Produkt. Beim Kaffee eher nicht – zu dem Zeitpunkt hab’ ich nur Tee getrunken. (lacht)
BB: Aber jetzt sind Sie konvertiert?
MJ: (lacht) Ich trinke beides. Morgens zu Hause gibt es immer noch meinen Becher Tee. Und hier geht’s dann mit Kaffee über den Tag weiter. Aber zurück: Durch diese Biogeschichte – Biobeschaffung, also Planung, Bedarf, Schaffung, Zertifizierung – habe ich eine sehr enge Verbindung zum Rohkaffee-Einkauf bekommen und dadurch natürlich sehr viel gelernt. Wenn es um Probleme, um Erntezeitpunkte, um Qualitäten ging. Darum, was wir brauchen und wofür, also für den Röstkaffee, für den Instantkaffee und so weiter. Durch diesen engen Austausch habe ich natürlich unheimlich viel Erfahrungen gesammelt – und durch die Entwicklung, die wir dann bei Wertform durchlaufen haben.
Wir wurden ja mit der Zeit im Röstkaffeebereich immer selbstständiger, haben verschiedene Qualitäten entwickelt – natürlich auch manchmal mit Rückschlägen. Aber daraus haben wir gelernt, worauf wir in Zukunft bei gewissen Qualitäten achten müssen. Was es an Schwankungen gibt. Und dass man da nicht einfach mal eben schaut, was preislich am besten ist, sondern noch auf andere Faktoren achten muss.
Wie alles anfing.
Wir waren ein sehr kleines Team, jeder hatte seinen Fokus – ich mit der Zertifizierung und Qualität und Beschaffung – also wir mussten wirklich in allem eng zusammenarbeiten.
Das fing damals als Private Label (Produktion für andere Marken; Anm. d. Red.) an, was wir auch heute noch machen. Und dann natürlich unsere eigene Marke Mount Hagen. Ich glaube, da sind wir mit dem Instantkaffee gestartet, der wurde hier in der Firmengruppe hergestellt. Röstkaffee wurde damals noch zugekauft.
Und dann machte plötzlich dieser Lieferant dicht, und es hieß: „Seht zu, wo ihr euren Röstkaffee herkriegt.“ Das war zwar ein ganz kleines Segment – wir hatten, glaube ich, eine (!) Palette mit 500-Gramm-Packungen pro Monat, die wir an einzelne Läden verkauft haben, also eine ganz andere Größenordnung –, aber wir mussten trotzdem gucken, wie wir es hinbekommen und haben angefangen, den Rohkaffee mit dem Einkaufsteam selbst zu kaufen und uns dann auch breiter aufzustellen. Wir hatten ja das Projekt in Papua – da kommt die Marke ja her.
Anfangs war es nicht möglich, Kaffee von dort zu bekommen, da stand die Bürokratie im Weg. Wir mussten Importgenehmigungen bei der Behörde in Hamburg beantragen, mussten dafür Berichte einreichen und hoffen, dass sie so waren, wie derjenige in der Behörde meinte, dass es den Anforderungen der EU-Verordnung entsprechen würde. Es war wirklich alles noch in den Kinderschuhen mit Bio damals.
BB: Wann ging es mit dem Biokaffee richtig los?
MJ: Ende der 90er, Anfang der 2000er. Das wurde damals auch alles noch sehr belächelt. Die Naturkost-Fachläden waren ja auch so, naja … Latzhose, Wollsocken, Alt-68er … Die „Ökos“. Die wurden da noch sehr auf die Schippe genommen.
Warum gehen, wenn das Bleiben viel spannender ist?
BB: Das heißt, Sie haben im Prinzip von der Pike auf die ganze Biobewegung, was Kaffee angeht, mitgemacht – learning by doing. Und jetzt?
MJ: Ich bin in der Zertifizierung geblieben. Es gab mit der Zeit immer mehr Anforderungen: Biozertifizierung, Naturland-Zertifizierung, Demeter-Zertifizierung. Das liegt alles in meiner Verantwortung. Also auch immer wieder zu gucken: Wo sind Anpassungen möglich und nötig? Wo müssen wir enger zusammenarbeiten, zum Beispiel mit dem Qualitätsmanagement? Ich bin die Schnittstelle und die Ansprechpartnerin für den Rohkaffee-Import. Das Tagesgeschäft machen sie selbst, aber Änderungen zu implementieren, abzustimmen, zu prüfen, das liegt dann alles mit bei mir.
Und der Kaffee und die Mischungsqualitäten, das ist immer noch mein Baby. Haben wir mal eine Mischung festgelegt, müssen wir ja vorausschauen und planen, was wir an Kaffees brauchen, was wann wie eingekauft werden muss. Der Kaffee ist ja nicht das ganze Jahr verfügbar. Ich kann ja nicht, so wie es Verbraucher gewohnt sind, hingehen und sagen: „Ich brauche mal wieder einen Container aus Peru.“ Wenn da keine Ernte ist, dann gibt’s da halt auch keinen Container Kaffee mehr.
Oder: Wenn ich Naturland-zertifizierten Kaffee haben will, muss ich mir den schon am Anfang – vor der Ernte – sichern, weil den keiner bis zum Schluss liegen lässt, dafür ist er zu wertvoll und zu teuer. Das ist so ein bisschen puzzeln, würfeln, rechnen, der ganze administrative, planerische Teil da im Hintergrund.
BB: Und was ist mit dem Die-Hände-in-die-Erde-Stecken als Agrar-Ingenieurin?
MJ: Das mach’ ich zu Hause. Treckerfahren, das ganze Programm. Wir haben einen Resthof mit Pferden…
BB: Die zweite Leidenschaft?
MJ: Genau, also ganz ohne geht es nicht.
BB: Warum sind Sie so lange bei Wertform geblieben?
MJ: Weil ich diese spannende Entwicklung von Bio hier miterleben konnte. Klar gab es Punkte, bei denen man sich sagt: „Wenn du noch mal was anderes machen willst oder wenn du was erreichen willst, dann jetzt.“ Und dann hab’ ich mich immer gefragt: „Aber was willst du eigentlich machen? Auf was willst du dich denn bewerben? In welche Richtung willst du gehen?“ Weil: Was mich hier begeistert, ist dieses Komplette.
Ich kümmere mich um den Rohkaffee, um die Qualitäten, ich habe mich mit Planung, um Planbedarfe gekümmert, andererseits um Zertifizierung und dann aber immer auch um die Weiterentwicklung von einem Markt, von Anforderungen. Das fand ich total spannend – und finde es noch. Nicht dieses Festgelegt-Sein auf nur Zertifizierung, nur Qualitätsmanagement oder ich werde Auditor oder so. Das war mir immer zu langweilig. Also bin ich dabei geblieben und mache weiterhin alles. Das ist vielleicht manchmal anstrengend, aber das ist immer noch das Spannendste von allem.
Redet miteinander.
BB: Wenn Sie zurückschauen: Was würden Sie anders machen?
MJ: Naja, man entwickelt sich ja über die Jahre weiter. Heute würde ich nicht mehr so schüchtern sein, mich schon mal eher hinstellen und sagen: „Nee, so nicht.“ Aber das ist, glaube ich, eine persönliche Sache. Und nochmal wieder 30 oder so sein? Nein, danke, das möchte ich gar nicht – oder wenn, mit der Erfahrung von heute. Sicherlich würde ich dann manches anders machen, aber das basiert eben alles auf der Erfahrung.
BB: Aus dieser Erfahrung heraus: Welchen Tipp, Rat oder Impuls würden Sie Ihren jüngeren Kollegen geben?
MJ: Wir reden immer alle so schön von Teamgeist und Wir-Gefühl, aber in der Realität heißt es „Erstmal ich und dann der Rest“ – da muss man sich nur den Straßenverkehr angucken. Ich würde sagen: „Sprecht miteinander!“ Am Telefon oder ganz normal von Angesicht zu Angesicht.
WhatsApp oder E-Mails sind oft so missverständlich. Nicht unbedingt inhaltlich, aber im Ton. Wenn ich mit jemandem spreche, sehe ich ihn, höre die Tonlage und kann im Zweifelsfall gleich nachfragen. Dann können wir auf einer vernünftigen, sachlichen Ebene weitermachen.
Ich glaube, dieses Nur-Schreiben, was heute so angesagt ist, verursacht so viele Missverständnisse, da helfen auch Emojis nichts. Das ist es, was ich jüngeren Generationen mitgeben würde. Mobiles Arbeiten, Homeoffice, Selbstverwirklichung – alles schön und gut. Aber vergesst nicht die anderen und sprecht mit ihnen, das kann das Leben in der Zusammenarbeit sehr viel einfacher machen. Und allein kriegt man es eh nicht hin.
BB: Eine prima Überleitung zu unserem großen Thema Zuversicht: Wo holen Sie sich Ihre Zuversicht her?
MJ: Ich bin eher der positiv eingestellte Mensch. Bei mir ist das Glas eher halb voll als halb leer. Sicherlich gibt es auch mal Tage, wo es nicht so gut läuft. Aber ich kann mich auch über Kleinigkeiten freuen, und das ist die Motivation, das nächste Problem anzugehen. Außerdem: Es gibt keine Probleme, es gibt nur Herausforderungen.
Ich finde, wenn man eine Herausforderung hat und sie bewältigt, dann schafft man auch andere Sachen. Vielleicht ist ja genau da der Ursprung dieser Larmoyanz, dieses Gejammers, das wir gerade so viel haben. Wenn z. B. Eltern – Helikopter-Eltern – immer alle Widerstände aus dem Weg räumen, dann lerne ich nicht, mit Widerständen umzugehen. Und dann lerne ich auch nicht, mich drüber zu freuen, dass ich einen Widerstand überwunden habe – und weiß auch nicht, dass ich noch was ganz anderes schaffen kann.
BB: Eine allerletzte Frage – die ich allen stelle: Ihr bester Fehler?
MJ: Mein bester Fehler? Früher konnte ich nicht akzeptieren, Fehler zu machen. Das ist mir unheimlich schwer gefallen. Mittlerweile lerne ich, damit umzugehen. Ich meine: Die Menschheit wäre nicht da, wo sie ist, wenn sie keine Fehler gemacht hätte. Das Blöde ist nur, wenn man aus den Fehlern nicht lernt.