„Man sieht, dass es wirkt.“

Fulda, der Garten des Umweltzentrums, eine Oase mit Obstbäumen, Vogelgezwitscher und leichter Brise bei weit über 30 Grad im deutschen Sommer. Ich sitze mit Paula Salazar von Naturland hier im Schatten und wir trinken ein Käffchen (den klassischen Mount-Hagen-Arabica), während sie mir erklärt, was wir Verbraucher kaum auf dem Zettel haben: die Qualitätssicherung der Lieferkette bei Naturland.

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Barbara Beiertz

foto: Naturland / Anja Steinmaßl

Von Kolumbien nach Gräfelfing.

Barbara: Liebe Paula, du hast mir erzählt, wie du aus Kolumbien nach dem Studium (Lebensmitteltechnik) für kurze Zeit in den USA warst und dort zum ersten Mal Biolebensmittel im Supermarkt entdeckt hast. Was deinem Leben eine entscheidende Wendung gegeben hat…

Paula: Ja, tatsächlich habe ich zum ersten Mal in den USA Biolebensmittel gesehen. Damals war das in Kolumbien überhaupt kein Thema. Ich war sehr neugierig und habe angefangen, im Internet zu recherchieren: Was ist denn das? Wo gibt es so was? Und so habe ich ein Studium in Deutschland an der Uni Hohenheim gefunden. Das war zum Glück auf Englisch – Organic Food Chain Management. Eine supertolle Erfahrung. Das war mein Anfang im Biolebensmittel-Bereich.

Außerdem habe ich da meinen Mann kennengelernt, er ist auch aus Kolumbien. Wir haben damals überlegt, ob wir wieder zurückgehen oder länger bleiben. Wir sind geblieben. Bei einer Firma, die Biolebensmittel aus Kolumbien importierte, habe ich dann angefangen zu arbeiten – im Kaffeebereich. Das waren meine ersten Erfahrungen mit Qualitätsmanagement, Import, Vertrieb und so weiter. Später sind wir noch 4 Jahre in Großbritannien und noch mal 4 Jahre in Mexiko gewesen und dann 2019 nach Deutschland zurückgekommen.

B: Da bist du weit herumgekommen. Und dann ging’s direkt zu Naturland?

P: Ich hatte von Naturland während meines Studiums gehört. Als wir dann von Mexiko nach München gezogen sind, wollte ich gern einen Job in der Nähe und habe dann einen bei Naturland im Team Verarbeitung und Handel gefunden. Ich hab’ mich beworben, den Job bekommen und bin seitdem bei Naturland.

B: Als Kaffeespezialistin?

P: Genau, denn ich komme aus einer Kaffeeregion, ich bin mit Kaffee aufgewachsen. Für uns war es normal, dass wir am Wochenende, wenn wir mit den Eltern unterwegs waren, immer irgendwie mit Kaffee und Kaffeeplantagen zu tun hatten. Bei Naturland sind meine Fachprodukte aber nicht nur Kaffee, sondern auch Kakao und Bananen, weil ich damit auch früher schon gearbeitet habe.

„Wir begleiten den Prozess, bis das Produkt mit dem Zeichen im Regal steht.“

B: Und was machst du da genau?

P: Wir betreuen im Team Verarbeiter und Händler entlang der gesamten Wertschöpfungskette, damit sie die Naturland-Richtlinien einhalten können. Wenn sie noch nicht zertifiziert sind, begleiten wir sie während des Zertifizierungsprozesses. Das heißt, wir geben ihnen die Informationen zu den Standards, die sie erfüllen müssen. Wir haben Richtlinien für Verarbeiter, aber auch spezifische für einzelne Produkte. Die müssen sie erfüllen können. Wir prüfen auch Rezepturen, da müssen alle Zutaten Naturland-zertifiziert sein. Das machen wir in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen, z. B. mit der Anerkennungskommission.

Und wir unterstützen auch Partner in der Rohstoffsuche: Vielleicht ist ja ein Rohstoff nicht mehr verfügbar, dann braucht der Verarbeiter eine Alternative, und die muss natürlich auch zertifiziert sein. Das ist ein längerer Prozess, den wir aber begleiten, bis das Produkt mit dem Naturland-Zeichen im Regal steht. Das kann manchmal ganz schön lange dauern. Man muss sich immer mit vielen verschiedenen Leuten absprechen, ein Hin-und-Her, aber am Ende ist es erfolgreich.

B: Fährst du dann auch zu den Produzenten?

P: Wegen der Entfernung bei den exotischen Produkten wie Kaffee machen wir das nicht so oft. Aber ich hatte die Gelegenheit, in Mexiko Agaven-Produzenten und einen Kaffeehändler zu besuchen. Bevor wir neue Produzenten zertifizieren, findet immer ein Erstbesuch durch unseren Kollegen von Naturland e. V. oder Freelancern in den jeweiligen Ländern statt. Das heißt, wir prüfen zuerst die Anfragen auf Zertifizierung auf dem Papier: welches Produkt sie Naturland-zertifizieren lassen möchten und ob diese Firma schon biozertifiziert ist. Wie lange sie biozertifiziert sind, wohin sie exportieren und so weiter. Dann gibt es eine Präevaluierung vor Ort und danach die jährliche Kontrolle. Die wird von unabhängigen externen Kontrollstellen durchgeführt. Aus den Kontrollberichten erfahren wir dann, ob die Betriebe alle unsere Richtlinien erfüllen.

B: Passiert es oft, dass sie nicht erfüllt werden?

P: Ab und zu kommt das vor. Aber die Sache ist die: Wir versuchen immer, eine gute Vorprüfung zu machen. Das wäre für uns sonst viel zu viel Investition in Zeit und Geld, wenn jemand den ganzen Prozess durchläuft und am Ende nicht zertifiziert wird. Darum fordern wir von Anfang an viele Informationen an und machen eine Vorprüfung oder eine Präevaluierung. Auf dieser Basis können wir einschätzen, ob es passt oder nicht. Und in dieser ersten Evaluierung machen wir eventuell auch Verbesserungsvorschläge, z. B. zu Maßnahmen, mit denen sie die Artenvielfalt und das Wassermanagement verbessern können. Wir beraten dann auch zu anderen Kulturen, die eventuell noch angebaut werden, und dazu, wie eine Betriebsumstellung auf Naturland funktionieren kann. Konventionellen und Bioanbau in einem Betrieb zu kombinieren ist bei Naturland nicht erlaubt, um Kontaminationen zu vermeiden. Denn bei Naturland werden – anders als beim konventionellen Anbau – keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Und manchmal, wenn es ein komplizierter Verarbeitungsprozess ist, schauen wir uns das auch vor Ort an, wenn es irgendwie geht.

B: Was hat der Handel damit zu tun? Oder Händler? Sind das dann Zwischenhändler oder Großhändler?

P: Beides. Die Händler importieren und verkaufen Rohstoffe – grünen Kaffee – an die Röstereien. Die Röstereien verarbeiten und verkaufen das Produkt, das in der Verbraucherverpackung landet. Es gibt aber auch Zwischenhändler in den Exportländern, die Kaffee von verschiedenen Kooperativen exportieren, also das Produkt sammeln und in großen Mengen exportieren.

B: Und ihr sorgt dafür, dass auch wirklich das, was draufsteht, drin ist? Also, dass da nichts ausgetauscht wird?

P: Genau. Wir machen eine detaillierte Lieferkettenanalyse für die unterschiedlichen Abläufe, die wir zertifiziert haben. So wissen wir, wie das Produkt fließt, wer wo Naturland-zertifizierten Kaffee von A nach B schickt und wo er verarbeitet wurde. Anhand der Lieferpapiere und Dokumente prüfen wir die Rückverfolgbarkeit. Das prüfen wir nicht nur im Nachgang, wir sind ja im Prozess eingebunden. Wir vermitteln oft Verarbeiter und Händler, die auch schon bei uns zertifiziert sind. Im Zweifel nehmen wir Proben und schicken sie ins Labor. Aber das betrifft nur Einzelfälle. In der Regel ist unser Qualitätssystem sehr gut und funktioniert. Wo Naturland draufsteht, ist auch Naturland drin.

„Manchmal sind Kontrollen schwierig.“

B: Über all das denkt man als Kaffeetrinker gar nicht nach. Du denkst an Anbau und vielleicht an Röstung, aber nicht an alles, was dazwischen liegt. Ich finde das spannend. Du sagst, in der Regel funktioniert das alles sehr gut, aber es gibt in Mexiko z. B. offensichtlich gerade viele Fälle von Kriminalität mit Drogenkartellen usw., die die Bauern auch sehr beeinträchtigen. Habt ihr mit Korruption auch zu tun?

P: Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten. Es kommt viel auf die innenpolitische Lage im Land an. Oft können sich Kontrolleure nicht frei im Land bewegen, um z. B. die Präevaluierung und Betreuung vor Ort zu übernehmen. Wenn man das von hier, vom Schreibtisch aus betrachtet, denkt man: Okay, das ist machbar. Aber in manchen Kaffeeregionen ist das wirklich schwierig. In Mexiko z. B. leben die Kaffeebauern oft weit voneinander entfernt. Die Transportwege sind lang und auf dem Weg begegnen sie oft Kriminellen – das ist eine sehr unschöne Situation.

B: Fährst du auch ab und zu mal zu dem einen oder anderen Produzenten?

P: Ab und an fahre ich auch raus. Vor zwei Jahren war ich bei einer Produzentin von Agaven-Sirup. Das war eine superschöne Reise, weil man im direkten Kontakt mit den Produzenten sieht, wie die Rohstoffe angebaut werden. Die Agave z. B. braucht acht Jahre Pflege, bis sie verarbeitet werden kann. Man wechselt die Perspektive, das gefällt mir gut.

Ecuador ist nicht Deutschland.

B: Was ist für dich die größte Herausforderung?

P: Eine große Herausforderung – aber auch gleichzeitig unser Merkmal – ist, dass die Naturland-Richtlinien streng sind. Als einziger Ökoverband prüfen wir auch soziale Standards vor Ort. Im globalen Süden passen dann oft unsere Vorstellungen mit den Lebensrealitäten vor Ort nicht zusammen. Hier leisten wir auch wertvolle Aufklärungsarbeit, weil wir erklären, wie wichtig gerechte Löhne und Arbeitsschutzmaßnahmen sind. Vor allem kleinere Betriebe haben es oft schwerer. Wir sind da entgegenkommend, geben oft auch mehr Zeit und arbeiten eng mit den anderen Abteilungen von Naturland zusammen – mit der Sozialabteilung, mit dem International Member Support. Und wir begleiten und beraten die Betriebe schon vor dem Prozess der Zertifizierung. Wir versuchen, da gemeinsam gute, praktikable Lösungen zu finden.

Eine weitere Herausforderung ist die Zeit. Unsere Arbeit dauert oft mehrere Monate bis hin zu einem Jahr, bis wir einen Betrieb zertifiziert haben. Gleichzeitig hören wir von Händlern, dass sie Ware wollen. Das kollidiert oft, aber uns ist es wichtiger, dass die Gegebenheiten vor Ort passen.

Da Naturland in der ganzen Welt Produkte zertifiziert – aktuell in fast 60 Ländern –, haben wir eine Reihe von Herausforderungen. Die Einhaltung unserer Richtlinien muss gewährleistet sein. Und deshalb müssen wir mit vielen Teams und Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenarbeiten. Obwohl es sehr interessant und bereichernd ist, kann die Arbeit mit Menschen in verschiedenen Sprachen, Kulturen, Zeitzonen und Rechtssystemen auch eine Herausforderung sein.

Eine Herausforderung – aber es bringt was.

B: Das ist nachvollziehbar. Auf der anderen Seite ist es ja auch gut, dass es die internationalen Richtlinien gibt.

P: Ja, natürlich, das ist so. Wir haben allgemeine Richtlinien, die wir in fast 60 Ländern auf dem gleichen Niveau halten, prüfen und erwarten, dass sie erfüllt werden. Es ist gut, dass wir garantieren können, dass die Produkte alle dieselben Standards erfüllen. Aber klar, es ist oft schwierig. Ein Bauer hier in Europa hat andere Voraussetzungen als einer in Mexiko oder Ecuador. Wir leisten einen wichtigen Beitrag in den Ländern, in denen die Sozialbedingungen nicht so großgeschrieben werden.

B: Was ist für dich das Tollste an deinem Beruf, an deinem Arbeitsalltag?

P: Ich leiste mit meiner Arbeit etwas für die Umwelt. Vielleicht sieht man es nicht sofort, aber langfristig hat es einen positiven Einfluss – für den Erhalt gesunder Böden, für die Umwelt und für die Lebensrealität der Menschen vor Ort. Es lohnt sich.

„Ich bin nicht müde.“

B: Das Thema, mit dem wir uns in dieser Interview-Reihe u. a. beschäftigen, heißt „Zuversicht“. Weil so viele Menschen durch die ganzen Krisen so erschöpft sind und z. B. vom Klimawandel nichts mehr hören wollen – Stichwort: Green Fatigue. Geht dir das auch so?

P: Also mir persönlich nicht. Ich bin nicht müde. Weil ich denke, dass man nicht einfach sagen kann „Das betrifft mich nicht“ – auch wenn Dinge weit weg passieren. Ich versuche, bewusst einzukaufen, mit dem Fahrrad, mit dem Zug zu fahren. Mit kleinen Schritten kann man ja etwas erreichen. Das ist doch eigentlich die Verantwortung von allen: Wir wollen alle gesund sein, aber damit wir gesund sind, müssen wir uns auch gesund ernähren – und die Ernährung, die kommt aus dem Boden…

B: Und dazu trägt deine Arbeit ja bei, auch wenn es lange dauert. Ich glaube, wenn man es schafft, beruflich etwas zu tun, das sinnvoll ist oder bei dem man mit dem Herzen dabei ist, dann wird man auch nicht müde. Darum finde ich es so spannend, mit euch zu sprechen. Es gibt kaum eine Organisation, die so intensiv daran mitwirkt, dass sich etwas verändert, dass sich der Anbau verändert. Aber ich glaube, es ist den wenigsten Menschen bewusst, wie viel Arbeit es ist, diesen Naturland-Standard so hochzuhalten.

P: Ich denke, in den letzten Jahren ist bekannter geworden, was Naturland ist. Und viele Endverbraucher schätzen das Zeichen als Qualitätsmerkmal. Aber wenn man fragt, was es genau bedeutet, dann wissen die Leute eigentlich nicht, was wir machen. Dennoch: Was vor 40 Jahren angefangen hat – als Wunsch von fünf Leuten – ist jetzt mit den Jahren so stabil und groß geworden, weil man eben sieht, dass es gut funktioniert und wirkt.

B: Was eine sehr gute Nachricht ist. Wovon wir leider viel zu wenige hören… Glaubst du, dass die Kaffeepreise wieder fallen werden?

P: Ich denke nicht. Und ich finde, es wäre auch nicht in Ordnung. Ich weiß, dass alle den Kaffee zu den günstigen Preisen haben wollen. Aber wenn man wirklich schaut, was an den Produzenten geht: Das ist so wenig… Es wäre schön, wenn alle damit Geld verdienen würden – und nicht nur der Handel.

„Gemeinsam schaffen wir es.“

B: Gibt es, wenn du all diese Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten siehst, einen Trick, wie du dich motivierst?

P: Also, ich versuche grundsätzlich positiv zu bleiben. Wenn es Schwierigkeiten gibt, suche ich das Gespräch mit den Kollegen. Wir haben ein sehr gutes Team, mit dem man sehr gut alles besprechen kann.

B: Gemeinsam schaffen wir es?

P: Gemeinsam schaffen wir es, ja. Und ich versuche, Dinge nicht persönlich zu nehmen.

B: Wenn du heute noch mal von vorne anfangen würdest – mit dem Studium und so weiter –, was würdest du anders machen?

P: Wow, gute Frage. Also ich bin eigentlich zufrieden mit dem, was ich bis jetzt gemacht habe. Vielleicht wäre es die Entscheidung, hier oder in Kolumbien zu sein. Ich vermisse das natürlich – die Familie ist zu weit weg. Aber bisher bin ich sehr zufrieden. Vielleicht würde ich auch mehr in Richtung Anbau gehen, das kann ich mir vorstellen.

B: War es für dich eine bewusste Entscheidung für bio, Biolebensmittel damals in den USA? War das ein Aha-Moment?

P: Als ich verstanden habe, was der Unterschied zwischen bio und konventionell ist und was das für eine Bedeutung auch für Kolumbien haben könnte – das war total neu –, da hat es „klick“ gemacht. Und ich bin dabei geblieben.